Lebensraum Wald
Unsere Wälder sind mehr als reine Produktionsstätten für den Rohstoff Holz. Der Wald ist die Heimat unzähliger Lebewesen und auch einer der beliebtesten „Wellness-Bereiche“ für gestresste Menschen sowie Sportstätte für viele Freizeitaktivitäten. Daher ist eine differenzierte Betrachtungsweise des Lebensraums Wald notwendig – vor allem seinen eigentlichen Bewohnern gegenüber. Wildtiere spielen eine große Rolle im Ökosystem Wald. Unter anderem lockern sie den Boden auf, bauen Höhlen, die auch anderen Wildtieren ein Zuhause bieten, verbreiten Pflanzensamen und dienen somit der Artenvielfalt von Bäumen und Sträucher. Doch Schalenwildarten verursachen auch wirtschaftliche Schäden an Forstkulturen. Verbiss- und Schälschäden sind die Folgen der Äsungsgewohnheiten von Reh- und Rotwild. Es gilt einen Weg zu finden, der das Existenzrecht des Wildes – samt Lebensgewohnheiten – respektiert, ohne die Interessen der Forst-wirtschaft zu beschneiden, und ohne einen überhöhten Wildbestand aufkommen zu lassen.
Die Rolle des Schalenwildes als „Waldschädling“ muss einem Verständnis weichen, das auch die positiven Eigenschaften mit einbezieht. Dabei geht es weder um eine Seligsprechung noch um eine Verteufelung des Wildes, sondern um eine nüchterne Analyse abseits der leider oft hysterisch geführten Diskussion um den sogenannten Wald-Wild-Konflikt. Denn der eigentliche Konflikt spielt sich zwischen der Natur und der Wirtschaft ab.
Zum Internationalen Jahr der Wälder bricht der Landesjagdverband Rheinland-Pfalz e.V. eine Lanze für das Wild. Der Verband stellt auf seinem Stand eine Sichtweise auf unser heimisches Wild vor, die auch deren Rolle in dem Waldökosystem berücksichtigt.
Rotwild (Cervus elaphus)
Unsere größte freilebende Wildart, das Rotwild, erfüllt eine Reihe von Funktionen, die sich positiv auf die Umwelt auswirken: Durch seine Nahrungsgewohnheiten verhindert das Rotwild eine Verbuschung. Besondere Pflanzengemeinschaften werden durch seine selektive Nahrungswahl erhalten. Wiesengesellschaften werden erhalten und durch Rotwildbeäsung in derer Bewaldung verzögert. Der Oberboden wird durch die Trittwirkung des Rotwildes geöffnet. Dadurch entstehen Mikrohabitate, die bestimmten Pflanzenarten bessere Lebensbedingungen bieten. Das hat eine positive Wirkung auf die Artenvielfalt nachgewiesen worden. Durch sein Wanderverhalten verbreitet das Rotwild Pflanzensamen über weite Strecken. Die Samen bleiben entweder am Fell oder an den Hufen des Rotwildes haften. Diese können während der Brunftwanderung über 100 Kilometer weit transportiert werden. Zudem sind Samen von bis zu 59 Pflanzenarten im Kot der weitwandernden Tiere enthalten.
Rehwild (Capreolus capreolus)
Durch sein „naschhaftes“ Äsungsverhalten ist das Rehwild in die Kritik geraten. Durch Verbiss (das Fressen der Triebe von Bäumen und Sträucher) kann das Pflanzenwachstum eingeschränkt werden – besonders wenn es sich um den Terminal-oder Wipfeltrieb handelt. Wird dieser wiederholt abgeäst, führt dies zur Verbuschung des verbissenen Baumes – auch mit positiven Folgen!
Das Blatt-Wurzel-Verhältnis von Bäumen, die in ihrer Jugend verbissen wurden, schlägt deutlich zugunsten der Wurzeln aus. Dadurch wächst die Widerstandsfähigkeit des Baumes bei Trockenheit und sie sind gegenüber Stürmen standfester. Zudem kann erhöhter Verbiss zu begehrenswerte Lebensräumen führen. So manche Vogelart zieht buschige und dicht wachsende Buchen oder Eichen als Nistplatz vor. Verbiss muss nicht zwangsläufig zur Verbuschung führen. Sobald der Wipfeltrieb außerhalb der Reichweite des Wildes ist, wächst der Baum normal weiter. Auch die Plätzstellen des Rehwildes haben positive Effekte auf den Lebensraum Wald. Die Bodenverwundung legt den Rohboden frei und so entstehen Wuchsplätze für Rohbodenkeimer.
Schwarzwild (Sus scrofa)
In der Landwirtschaft kann die Wühltätigkeit des Schwarzwildes zu hohen wirtschaftlichen Schäden führen. Doch ist das Aufbrechen des Bodens in den Wäldern ein wahrer Katalysator für den Artenreichtum: Das Aufbrechen bewirkt, dass die Sukzessionskette neu gestartet wird und sich eine Art Mosaik von Pflanzen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien entwickelt. Durch die Wühlaktivität des Schwarzwildes werden die Waldböden durchmischt und belüftet, es schafft Keimbetten und aktiviert im Boden „schlafende“ Samenbanken. Wildschweine gelten als wichtige Vektoren zur Verbreitung von Pflanzensamen. Am Fell von Schwarzkitteln wurden bis zu 50 verschiedene Pflanzensamen gefunden. Die direkte Umgebung von Malbäumen ist reich an Samen der verschiedensten Pflanzenarten. Die Wildschweine scheuern an diesen Bäumen und verlieren somit die an ihrem Fell anhaftenden Samen. Auch das Schwarzwild verbreitet Pflanzensamen über seinem Kot. Bis zu 39 verschiedene Arten, die aus der Losung keimten, konnten nachgewiesen werden.
Die „Waldgärtner“
Sowohl das Eichhörnchen (Sciurus vulgaris)als auch der Eichelhäher (Garrulus glandarius)tragen zur Naturverjüngung des Waldes bei. Zu den bekanntesten Verhaltensweisen des Eichhörnchens gehört das Anlegen von Vorräten. Vor allem sind es Nüsse, die an verschiedenen Stellen ihrer Reviere vergraben oder in Baumhöhlen für die harte Winterzeit gesammelt werden. Mit ihrem feinen Geruchssinn finden die Eichhörnchen die versteckten Vorräte wieder. Doch nicht alle Verstecke werden im Winter wiedergefunden. Die „vergessenen“ Samen keimen im Frühjahr auf und dienen damit der Naturverjüngung. Das Vergraben von Vorräten ist ein Verhalten, das man vor allem bei den Populationen der europäischen Laub- und Mischwälder findet.
Auch der Eichelhäher ist ein „Sammler“. Im Gegensatz zum Eichhörnchen legt dieser Rabenvogel das ganze Jahr über Vorräte an. Doch erst im Herbst verbringt er rund zehn Stunden am Tag damit zu, Eicheln und andere Nussfrüchte zu verstecken. Durch die unvollständige Nutzung seiner Depots sorgt der Eichelhäher für die Ausbreitung zahlreicher Baumarten, wie Stiel- und Trauben-Eiche, sowie Buchen und Haselnuss. Studien ergaben, dass ein einzelner Eichelhäher mehr als 2.000 Eicheln während der 20-tägigen Hauptsammelzeit versteckt. Die durch Eichelhäher begründeten Baumbestände werden in der Forstwirtschaft als Hähersaaten bezeichnet.